Evolution statt Revolution: Audi hat sich bei der Entwicklung des Audi e-tron FE06 jedes noch so kleine Detail angeschaut. Ergebnis: noch höhere Effizienz, weniger Gewicht, optimiertes Packaging und eine verbesserte Bedienbarkeit der Software. Wichtige Bausteine auf dem Weg zu einem perfekten Renntag sind außerdem Testfahrten und eine perfektionierte Simulation.

Das enge Reglement der Formel E ist Fluch und Segen zugleich: Segen, weil es eine größtmögliche Leistungsdichte der Teams und Fahrzeugkonzepte schafft und damit spannende Rennen garantiert. Und Fluch, weil neue Entwicklungen für die Ingenieure akribische Detailarbeit bedeuten. Die perfekte Herausforderung für Tristan Summerscale und sein Team. Der Projektleiter Formel E bei Audi sagt: „Wenn wir jedes von 2.000 Puzzleteilchen auch nur ein kleines bisschen optimieren, gewinnen wir damit am Ende vielleicht die entscheidende Zehntelsekunde.“

Neben der Software ist der Antriebsstrang der einzige Bereich des Formel-E-Autos, den die Hersteller frei entwickeln können. Er besteht aus Motor, Inverter, Getriebe und Teilen des Hinterachsenfahrwerks. Die Motor-Generator-Unit namens Audi Schaeffler MGU04 haben Audi und Technologiepartner Schaeffler wie in den Jahren zuvor gemeinsam entwickelt. „Bei einem Wirkungsgrad in einem Bereich von mehr als 90 Prozent bewegen wir uns in Sachen Effizienz schon am Limit. Trotzdem waren, genau wie bei der Dynamik der MGU und des Inverters, noch kleine Schritte möglich“, sagt Tristan Summerscale.

Gelungen sind den Ingenieuren eine weitere Gewichtsreduzierung des Antriebsstrangs und eine Optimierung des sogenannten Packagings. So bezeichnet man die Anordnung und Zugänglichkeit der einzelnen Komponenten. „Der Zeitplan eines Renntags in der Formel E ist extrem eng gesteckt: Es gibt wenig Fahrzeit und meist nur kurze Pausen zwischen den einzelnen Trainingssitzungen“, sagt Summerscale. „Da kann es entscheidend sein, wie schnell die Mechaniker Änderungen, beispielsweise an der Kinematik oder an Dämpfern, oder Reparaturen bei Schäden umsetzen können. In diesem Bereich haben wir einen guten Schritt gemacht.“

In der sechsten Saison der Formel E darf der Motor im Qualifying maximal 250 kW (340 PS) leisten. In den Rennen ist die Leistung auf 200 kW (272 PS) begrenzt. Bewährt hat sich der sogenannte Attack Mode: Passiert der Fahrer die Aktivierungszone auf der Strecke, erhöht sich die Leistung seines Autos kurzzeitig auf 235 kW (320 PS). Die Formel-E-Fans können ihren Lieblingsfahrer auch in dieser Saison wieder per Online-Voting unterstützen: Mit dem „FanBoost“ steigt die Leistung im Rennen kurzfristig bis auf 250 kW (340 PS).

Den Strom beziehen alle Formel-E-Teams aus einer identischen, 385 Kilogramm schweren Batterie von McLaren. Die Lithium-Ionen-Batterie befindet sich zwischen Fahrersitz und Antriebsstrang, hat eine verfügbare Kapazität von 52 kWh und ist innerhalb von 45 Minuten aufgeladen. Neu ist seit der fünften Saison das Brake-by-Wire-System. Bremsbetätigung und Übertragung zur Hinterachse sind dabei voneinander entkoppelt und elektronisch geregelt. Die Bremskraftverteilung ist somit immer optimal eingestellt und die Rekuperation noch effizienter.

Formel E, Marrakesch E-Prix 2020

Wie in der Formel 1 sitzt der Fahrer in einem Monocoque aus Kohlefaser, entwickelt nach den FIA-Sicherheitsstandards. CFK-Crash-Strukturen an Front und Heck sowie den Flanken sorgen für maximale Sicherheit. Dazu kommt – analog der Formel 1 – das Halo-System über dem Cockpit, das den Kopf des Fahrers zusätzlich schützt. Das Mindestgewicht eines Formel-E-Rennwagens liegt bei 900 Kilogramm (inklusive Fahrer). Von 0 auf 100 km/h beschleunigt der Elektrorennwagen in 2,8 Sekunden. Die Höchstgeschwindigkeit liegt auf einer Formel-E-Strecke bei rund 240 km/h.

Qualität statt Quantität – so lautete bei Audi das Motto für die Testfahrten vor der sechsten Saison. „Wir haben ein sehr exaktes Lastenheft erstellt und Punkt für Punkt abgearbeitet“, sagt Summerscale. Dafür waren Daniel Abt und Lucas di Grassi in den vergangenen Monaten in Deutschland, Südeuropa und Skandinavien im Einsatz. Ein Querschnitt der Strecken, die sowohl die gewaltigen Temperaturunterschiede in der Formel E abbilden – vom kühlen Paris bis zum heißen Santiago de Chile – als auch unterschiedlichste Streckenvarianten. Summerscale: „Wir hatten die Möglichkeit, besonders wichtige oder spezielle Passagen, die uns in der Saison erwarten, während der Tests zu simulieren und uns damit sehr gezielt vorzubereiten.“

Neben der Arbeit bei der Entwicklung, auf dem Prüfstand oder bei Testfahrten spielt die Simulation in der Formel E eine wichtige Rolle. Der Grund: Ab dem 31. Oktober gilt laut Reglement ein Teststopp, zudem sind Trainings auf den temporären Stadtkursen der Serie nicht möglich. Die Vorbereitung auf den Renntag erfolgt deshalb im hochmodernen Simulator im Neuburger Hauptquartier – in einem Formel-E-Chassis, umgeben von Monitoren und einer über 240 Grad gewölbten Leinwand für Rundum-Sicht. Für die kommende Formel-E-Saison wurden die Hard- und Software nochmals durch ein Update optimiert. Die Bewegungen des Monocoques und die Optik der Streckensimulation nähern sich so immer weiter der Realität an.

Das Training ist nicht nur essenziell für die Vorbereitung der Fahrer. „Unsere Ingenieure können in dieser Zeit viele wichtige Daten sammeln, das Energiemanagement optimieren, verschiedene Software-Versionen testen und den Ablauf eines Renntages durchspielen“, sagt Tristan Summerscale.

All das mit dem einen Ziel, die am Ende vielleicht über Sieg oder Niederlage entscheidende Zehntelsekunde zu finden.