Audi-Motorsportchef Dieter Gass über den Einstieg von Audi in die Formel E.

Weshalb engagiert sich Audi ab der Saison 4 werkseitig in der Formel E?

Audi hat schon immer Motorsport betrieben, um neue Technologien für die Serie zu erproben oder diese weiterzuentwickeln. Der quattro-Antrieb, der Audi in den 1980er-Jahren weltweit berühmt gemacht hat, ist das beste Beispiel dafür. Der TFSI-Motor, der heute in fast allen Audi-Baureihen zu finden ist, war im Le-Mans-Prototyp auf der Rennstrecke erfolgreich, ehe er in die Serie kam. Der TDI wurde nicht zuletzt dank Le Mans immer effizienter und leistungsstärker. Leichtbau, LED-Rückleuchten, Matrix-LED-Scheinwerfer und viele andere Innovationen mussten sich ebenfalls auf der Rennstrecke bewähren. Audi war der erste Hersteller, der die 24 Stunden von Le Mans mit Hybridantrieb gewonnen hat. Nun geht es um das Thema e-tron, das bei Audi immer bedeutender wird. Es ist nur logisch, dass sich die Elektromobilität auch in unserem Motorsport-Programm widerspiegelt und wir als erster deutscher Automobilhersteller werkseitig in der Formel E starten. Sie bietet derzeit die beste Bühne, die Performance von Elektroautos zu zeigen und Emotionen zu wecken.

Seit wann beschäftigt sich Audi mit der Formel E?

Audi hat schon vor vielen Jahren darüber nachgedacht, wie man Motorsport mit Elektroautos betreiben kann. Nun ist die Formel E mit Blick auf die Herstellerbeteiligung die am schnellsten wachsende Rennserie der Welt, und wir hatten auch dank unseres langjährigen DTM-Partners ABT vom ersten Tag an einen Fuß in der Tür. Lucas di Grassi, der für uns in der WEC fuhr, war innerhalb der Formel-E-Organisation an der Entwicklung der Rennserie beteiligt. Wir waren also immer auf dem Laufenden und das Potenzial der Formel E war schnell zu erkennen.

Audi, ABT und Schaeffler waren schon bisher Partner in der Formel E. Was ändert sich durch das Werksengagement?

Man kann die Rollenverteilung mit der DTM vergleichen, in der ABT seit 2004 eines unserer Einsatzteams ist. Unser Part ist in Zusammenarbeit mit unserem Technologiepartner Schaeffler die Entwicklung und Erprobung des Formel-E-Rennwagens. Wir haben das Team schon in der vergangenen Saison in einigen Bereichen technisch unterstützt und parallel den Antriebsstrang für die Saison 4 entwickelt. Und natürlich haben wir auch die Verantwortung für den Renneinsatz vor Ort übernommen.

Die Formel E erfreut sich eines großen Zuspruchs durch die Hersteller. Wie groß ist die Gefahr, dass die Kosten ganz schnell ausufern?

Diese Gefahr besteht durch starken Wettbewerb natürlich immer. Aber die FIA und die Organisatoren der Formel E sind sich dieser Gefahr sehr bewusst und setzen auf einen Zehn-Jahres-Plan, der bisher sehr wirkungsvolle Kostengrenzen schafft. Natürlich ist es eine Gratwanderung. Man muss ein gutes Maß finden, dass sich das Produkt Formel E weiterentwickeln kann und für die Hersteller dauerhaft interessant bleibt. Gleichzeitig muss sie bezahlbar bleiben. Bisher hat Alejandro Agag mit seinem Team auch in dieser Beziehung einen sehr guten Job gemacht.

Was ist am Audi e-tron FE04 anders als am Vorgängermodell, mit dem Lucas di Grassi den Meistertitel 2016/2017 gewonnen hat?

Natürlich nicht nur der neue Name und das progressive Design. Wir haben den Antriebsstrang gemeinsam mit unserem Technologiepartner Schaeffler komplett neu entwickelt. Man erkennt das auf den ersten Blick am neuen Carbongehäuse des Antriebs. Das Auto klingt auch anders, weil wir technisch neue Wege gehen. Details möchten wir zu diesem frühen Zeitpunkt aber noch nicht verraten, da unsere Konkurrenten – genau wie wir – bereits am Antriebsstrang für die Saison 5 arbeiten. Nur eines: Der e-tron FE04 hat nur noch einen Vorwärtsgang.

Viele Motorsport-Fans sehen die Formel E eher kritisch. Wie wollen Sie die Skeptiker abholen?

Ich bin mir gar nicht sicher, ob wir das überhaupt wollen oder müssen. Wir streichen den „klassischen“ Motorsport bei Audi ja nicht zugunsten der Formel E. Wir wollen uns auch in Zukunft weiter an Rennserien wie der DTM beteiligen, schließlich wird es auf absehbare Zeit auch in Serienmodellen weiter Verbrennungsmotoren und Hybridantriebe geben. Gleichzeitig wächst der Anteil von Elektroautos, die im ersten Schritt vor allem für unsere Kunden in urbanen Ballungsräumen besonders interessant sind. Diese erreichen wir mit den Formel-E-Rennen, die in Metropolen wie Berlin, Hongkong, Paris oder New York stattfinden. Dort sind Menschen an der Rennstrecke, die sonst wahrscheinlich nie mit dem Motorsport in Berührung kommen würden. Aus meiner Sicht steht die Formel E nicht in Konkurrenz zu bestehenden Rennserien. Sie ist eine Ergänzung und erschließt neue Zielgruppen für den Motorsport. Und allen Skeptikern kann ich nur empfehlen, einmal selbst einen Formel-E-Event zu besuchen. Im E-Village bekommen technisch interessierte und für Innovationen offene Zuschauer unheimlich viel geboten. Außerdem bietet die Formel E richtig tolles Racing. Ich selbst bin mit Verbrennungsmotoren groß geworden und musste mich erst einmal an Rennen mit Elektroautos gewöhnen. Doch der Funke ist schnell übergesprungen.